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Rubrik: Drei Fragen

„Viele Gastflieger”

Haben es Gleitschirmflieger viel leichter als andere, ihren Sport in diesem Sommer auszuüben?
Dieter Lische ist Vorsitzender des Gleitschirmclubs Kraichtal.

Mit welchen Einschränkungen üben die Gleitschirmflieger ihren Sport während der Pandemie aus?
Lische: Seit wir in der Krise als Individualsportart definiert worden sind und die Fluggelände nicht mehr geschlossen waren, konnten wir mit Hygiene- und Abstandskonzepten an den Start gehen. Bei unserem Gelände in Oberacker mit Windenstart ist es kein Problem, dass alle Beteiligten Abstand halten. Alle Gleitschirmclubs in Baden-Württemberg sind dazu angehalten, die Gastflieger, also solche, die eine Lizenz haben, nun zu registrieren. Tandemflüge mit Leuten, die unseren Sport mal erleben wollen, können unter strengen Auflagen durchgeführt werden. Hohe Temperaturen und die Desinfektion der Ausrüstung hemmen die Zahl der Tandemgäste.
Ihr Startplatz in Oberacker befindet sich auf 220 Metern Höhe. Wie weit kommt man derzeit bei einem Start in Kraichtal?
Lische: Ein Dreieckflug geht über 50 bis 70 Kilometer bis Zaberfeld im Stromberg, dann nach Sinsheim und wieder zurück nach Oberacker. Im Juli hatte ich einen Flug über 142 Kilometer bis hinter Aalen auf der Ostalb. Nach der Landung geht es mit dem Zug wieder heim.
Wie hat sich das Interesse am Gleitschirmfliegen und an der Mitgliedschaft im Verein entwickelt?
Lische: Unsere Mitgliederzahlen steigen. Das war schon ein Trend, es ist keine Folge des Corona-Sommers. Was alle Vereine feststellen, sind vermehrte Anfragen von Gastfliegern mit Lizenz. Manche Abflugstellen im Nordschwarzwald waren überlaufen, und wir mussten ausgleichen. Wir in Oberacker lassen bis zu drei Gäste am Tag zu. Einfach weil wir selbst viele Starter haben und sonst zu lange Wartezeiten entstehen. Man muss sich vorstellen, dass 20 bis 25 Helme hingelegt werden, die für wartende Flieger stehen. Ein Start dauert mit der Winde sieben bis zehn Minuten. Sogar über einen Aufnahmestopp im Verein haben wir schon nachgedacht, aber stattdessen ein zweites Startgelände bei Münzesheim in Betrieb genommen.[lieb]

 

Nach gut 12 Jahren wurde Björns Rekordflug nach Punkten und XC-Kilometern vom Schleppgelände in Oberacker nun von Dieter abgelöst.

Es hat sich dieses Jahr wieder was getan in der Top-Ten Klassifizierung unseres Hauptfluggeländes. 

 TopTen2020

Es ist nicht einfach in von unserem Fluggelände auf Strecke zu gehen, darum sind solche fliegerisch günstigen Tage gepaart mit dem Pilotenkönnen und passender Ausrüstung ein seltenes Ereignis. Denn selbst wenn alle äußere Faktoren zusammen kommen, macht nur der Pilotenwille und seine fliegerische Erfahrung es möglich, dass solche Strecken erflogen werden.
Dieter und Björn haben dieses Jahr wieder die Ausdauer bewiesen und sich neu in den ersten 10 Plätzen positioniert.

Aber nicht nur die Top-Piloten unseres Vereins gilt es hier zu erwähnen, denn nur durch den Teamgeist unserer tollen Vereinsmitglieder werden solche Rekorde beim Windenflug erst möglich. Da solch ein Flugtag nicht nur aus einem erlebnisreichen Start, Flug und Landung besteht, schreibt Dieter hier eindrucksvoll in seinem Bericht.

Bericht über meinen Flug über 143 km von Oberacker nach Hermaringen am 11. Juli 2020.

Teil 1 „Der Start“

Alles in Allem ein außergewöhnlicher Flugtag. Neben mir war nur Alex am Start. Sicherlich waren die Windbedingungen aus Nord-West mit relativ hoher Geschwindigkeit nicht einladend für weitere Piloten. Am oberen Stadtplatz, wartete ich eingeklinkt auf einen startbaren Moment, mein Blick ging dabei weniger zum Windsack, weil der stur 90° Wind aus Oberacker anzeigte, sondern nach links hinten auf das dortige Maisfeld um einen ruhigen Moment auszumachen, damit die Leewirbel der Baumreihe Richtung Oberacker mich in der Startphase nicht zu heftig erwischen können.

Teil 2 „Der Flug“

Ich hatte das Glück unmittelbar nach dem Ausklinken Thermik zu erwischen, man sieht auf dem Track, dass ich sofort stark nach Süd Osten versetzt werde. Die zweite Thermik Quelle fand ich über Oberderdingen, hier entschied ich mich zunächst den vor mir liegenden Stuttgarter Luftraum rechts umfassend zu umfliegen, musste jedoch feststellen, dass der Flug Richtung Süd Westen sehr langsam wurde und entschied mich daher Richtung Maulbronn der Kontrollzone entlang zu fliegen. Die Bärte versetzten mich immer näher an die Kontrollzone, bei Vaihingen Enz bekam ich die ersten Warnmeldungen meiner Flug Software „Warning Airspace“ heißt es dann immer wieder von der energischen Computerstimme. Kurz vor Einflug in den Luftraum, nahm ich Kurs Nord Ost um Abstand zum kontrollierten Luftraum zu gewinnen. Durch die Gegenwindkomponente verlor ich an Geschwindigkeit, ich bin meistens beschleunigt geflogen. Der nächste Bart versetzte mich wieder in Richtung Luftraum Stuttgart. Diesen Zickzackkurs habe ich an der gesamten Westgrenze des Luftraums durchgehalten bis endlich Gaildorf in Sicht war und ich mich mit Erlösung in den ansteigenden Luftraum Richtung Süd Osten treiben lassen konnte. Dort war die Thermik äußerst turbulent und stark, ich hatte große Mühe den Flügel offen zu halten, ich habe tatsächlich empört nach oben gebrüllt: „Kann das Bitte jetzt mal aufhören und wieder normal werden?“ Das Schönste an dieser Stelle war das Erreichen der Wolkenstraße unter der ich ohne einen Kreis mit hoher Fahrt und steigend mit dem Wind fliegen konnte. Nachdem mich mein Smartphone samt Flugsoftware gut um den Stuttgarter Luftraum navigiert hatte, war dummerweise der Akku komplett leer, das Smartphone schaltet sich ab! Ich hatte nur noch mein gutes altes Compeo GPS als backup mitlaufen. Von nun an wusste ich nicht mehr genau wo ich war, ich wusste lediglich, dass in Flugrichtung so bald keine Lufträume vorhanden sind. Auf Höhe Schwäbisch Gmünd/Heubach flog ich auf eine Hangkante der Schwäbischen Alb zu. Das Gelände dahinter war nahezu ohne Straßen ohne Orte geschweige denn zu erkennenden Bahnlinien. Zu dieser fortgeschrittenen Zeit wollte ich nicht in dieser Einöde fliegen da eine Landung in diesem Gebiet einen langen Fußmarsch versprach. Ich erkannte unter mir eine Bahnlinie, die Verbindung zwischen Schwäbisch Gmünd und Aalen. Dieser Bahnlinie bin ich mit leichter Gegenwindkomponente gefolgt. Die Stadt Aalen war für mich im Gleitflug sicher erreichbar, als ich mich der Stadt näherte traf ich auf das Startgelände in Aalen, ein Prallhang der voll im Wind stand. Ich brauchte nur dreimal hin und her zu fliegen schon hatte ich den Berg überhöht, dabei war ich eigentlich schon im Landeanflug, unter mir übten einige Paraglider Starts und Landungen, ich hatte vielleicht noch 50 m über Grund als mich der Hangaufwind wieder hoch beförderte. Mit einer Ablösung konnte ich wieder weit über 1000 m aufdrehen und hatte nun Blick in das Tal Richtung Heidenheim an der Binz, in welchem ich erfreut eine weitere Bahnstrecke erkannte, ich entschloss mich daher dieser Bahnlinie weiter zu folgen. Es ging also weiter! Nach knapp fünfeinhalb Stunden hatte ich Hermaringen unter mir, ich erkannte einen Netto Einkaufsmarkt, einen Bahnhof und eine schöne Landewiese. Mir taten die Knochen weh also entschied ich mich hier Höhe abzubauen und zu landen. Beim Überflug entdeckte ich eine Hochzeitsgesellschaft auf einer kleinen Landzunge der Binz, welche mir jubelnd zuwinkte. Ich habe meine Höhe über der Festgesellschaft abgeturnt und bin dann neben dem Nettomarkt gelandet.

Teil 3 „Der Heimweg“

Nachdem ich mich im Netto mit Wegzehrung versorgt hatte, wanderte ich zum Bahnhof. Dort staunte ich nicht schlecht über den Reiseverlauf Richtung Heimat. Der Rückweg sollte mich Über Ulm und Stuttgart nach Bruchsal führen. Der Zug sollte um 19:24 Uhr abfahren. An der Bahnhaltestelle tauschte ich meine Fliegerstiefel gegen Flip Flops und genoss die Sonnenstrahlen der Abendsonne. Während ich fast dahindämmerte, hörte ich den pünktlichen Zug einfahren. Hastig verstaute ich meine Fliegerstiefel, nahm mein Gepäck auf und hastete in den Zug. Als ich meinen Sitzplatz erreichte, der Zug fuhr bereits, stellte ich fest dass meine Sonnenbrille fehlt. Ich hatte sie auf der Sitzbank der Haltestelle liegen lassen. Was tun? Ignorieren und weiter fahren, Problem war dass die Brille über 300 € gekostet hat und nagelneu war, eine Adidas Sportbrille mit optischen Gläsern. Ich entschied mich an der nächsten Haltestelle auszusteigen, um die Brille zu retten. Am Bahnhof Hermaringen wo ich eingestiegen bin, war eine kleine Kneipe. Mein Plan war unverzüglich dort anzurufen und den Wirt zu bitten die Brille zu sichern. Problem, mein Handy war leer und ließ sich nicht mehr starten. Ich verließ den Zug an der nächsten Haltestelle. Im ehemaligen Bahnhofsgebäude war eine Pizzeria. Ich bat den Kellner hinter der Theke bei der Kneipe in Hermaringen anzurufen. Seine Reaktion: ...“nichts verstehen“. Ich ging durch das Lokal auf die Terrasse und sprach dort zwei junge Männer an die offensichtlich auf ihre Speisen warteten. Ich berichtete von meinem Unheil samt leeren Handy und bat die Jungs dort anzurufen. Der eine sagte gleich „Hajo des is des Ständle“. Ja genau „Ständle“ so heißt die Kneipe. Der andere googelte, fand eine Telefonnummer heraus und rief an. Er machte das Handy auf Lautsprecher, so konnte ich mit der Wirtin sprechen, sie fragte noch mal wo die Brille liegt, ich erklärte ihr den Ablageort, sie sagte „ja isch gut“ und legte auf. Mehr konnte ich jetzt nicht tun ich hatte aber irgendwie das Gefühl, dass das nicht erfolgreich sein wird. Ich nahm den nächsten Zug zurück Richtung Hermaringen, inzwischen waren 45 Minuten vergangen. Als ich Ausstieg sah ich circa 5-8 Personen in meinen Zug einsteigen darunter auch drei junge Männer mit Base Caps die offensichtlich zusammengehörten. Ich ging in die Kneipe und erkundigte mich nach der Brille, die Wirtin sagte: „Ach sie sind das mit der Brille. Ja die habe ich hier“. Sie berichtete weiterhin:“ …aber stellen Sie sich vor, der eine hatte die schon auf dem Kopf, ich fragte hat jemand hier eine Brille gefunden? Worauf eine der der dunkelhäutigen jungen Männer sofort die Brille von seinem Kopf überreichte, danach griff er noch in die Hosentasche und zog die Sehgläser heraus“. (die man in die Sportbrille hinein klicken kann.) Ich lobte die Frau für ihre Courage die Männer anzusprechen, das hätten einige andere sich wahrscheinlich gar nicht gewagt. Ich holte mir nun zunächst ein neues Ticket das alte war zeitlich verfallen. Ich wartete in dieser Kneipe auf meinen Zug und gab dem Wirt und der Wirtin mein letztes Bargeld und dankte nochmals für die Unterstützung. Auf meiner Heimfahrt über Aalen und Stuttgart, musste ich noch mal in Karlsruhe Durlach umsteigen. Es war mittlerweile nach 0:00 Uhr. Zwei völlig betrunkene Polen wunderten sich über meine Entscheidung und fragten mich zunächst ob ich ein Bier hätte. Die staunten dann nicht schlecht als ich aus meinem Gleitschirm Rucksack noch zwei kalte Dosen Bier zückte und ihnen schenkte. So war es 0:30 Uhr als ich Ubstadt erreichte.

Was für ein Tag.

Dieter Lische

Ein Überblick der Flugroute
Der Nord-West Wind sorgte dafür dass Dieter immer in die Flugverbotszone vesetzt wurde, also kein einfaches umfliegen der Kontrollzone des Stuttgarter Flughafens.


Oberacker Hermaringen 202007


Hier der virtuelle Flug
Sehr interessant ist auch hier zu sehen wie er das Gelände nutzt, um immer wieder die nächste Thermik zu finden. 
Flug von Oberacker nach Hermaringen auf ayvri.com

 

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